Fröhliche Weihnacht! Überall ?

Jedes Mal, wenn die Weihnachtszeit näher rückte, kamen in Alfred Trauer und eine seelische Müdigkeit auf, die er zu Lebzeiten seiner Frau niemals gekannt hatte. Aber seitdem Käthe vor vier Jahren – kurz vor Weihnachten – ihrer Krankheit erlegen war, schien ihm das Leben generell leer und sinnlos.
Drei Tage vor Heiligabend fuhr er ins Stadtzentrum, um die letzten Einkäufe zu machen. Den jungen beinamputierten Mann, der vor dem Supermarkt auf dem Bürgersteig am Boden saß, hatte er schon öfter bemerkt, ihm auch schon mal einen Dollar gegeben. Er wusste selber nicht, wie er heute auf die Idee kam, den Mann anzusprechen.


Nach dem üblichen „Hallo, wie geht es?“, fragte Alfred den Mann, woher er käme, was er hier tue, bei wem er wohne, seit wann er sein Bein verloren habe. Der Mann gab bereitwillig Auskunft. Er lebe in einem Anbau der Hütte eines Vetters in Mondesa. Das Bein sei ihm vor drei Jahren amputiert worden, aus medizinischen Gründen, wie er sagte. Jeden Morgen kam er mit einem Taxi ins Zentrum von Swakopmund, saß vor Woermann & Brock und hoffte auf mildtätige Gaben.
Alfred ging zurück und kaufte ein Stück Kuchen und gab es dem jungen Mann. Dessen Augen leuchteten auf, er dankte nett und freundlich, ohne überschwänglich zu sein.
Was er denn so am Nachmittag tue, wenn er wieder in Mondesa angekommen sei? Na, was schon? Er säße dann in der Hütte, höre Radio, humple mit seinen Krücken auch mal in der Nachbarschaft herum. Die Frau seines Cousins versorge ihn so recht und schlecht mit Essen.
Und sonntags? Da gehe er natürlich zur Kirche, das sei er von klein auf so gewohnt.
Alfred betrachtete die Krücken des Mannes, die uralt und unhandlich waren. Wie wäre es denn, dachte er so bei sich, wenn er ihm die Gehhilfen gäbe, die noch in der Garage standen? Käthe hatte sie benutzt, dann aber den Rollstuhl gebraucht. Ach ja, der war doch auch noch da …
Alfred setzte sich zu Hause, nachdem er die Einkäufe verstaut hatte, an den Couchtisch und ließ seine Gedanken kreisen. Was sollte er den Rollstuhl und die Krücken aufbewahren, wenn da jemand war, der sie dringend nötig hatte? Und wie wäre es denn damit, mal die Schränke durchzugehen? Da waren bestimmt noch Dinge, die der junge Mann gebrauchen konnte.
Als Alfred am nächsten Tag in der Nähe des Jungen einen Parkplatz fand, wurde ihm klar, dass dieser behinderte Mann vielleicht der einzige Mensch war, dem er zu Weihnachten eine Freude machen konnte. Er ging zu ihm hin, half ihm auf und begleitete ihn zu seinem Auto. Der junge Mann wollte seinen Augen nicht trauen, als er das vollbepackte Auto sah.
Alfred half ihm in den Wagen und fuhr mit ihm zu seiner Bleibe im Schwarzenvorort Mondesa. Als Einheimischer kannte Alfred die zum Teil unwürdigen Behausungen und war deshalb auch nicht allzu sehr überrascht von der Armseligkeit, in der Theo hauste. Und er war froh und glücklich, dass er ihn angesprochen hatte, dass er zumindest diesem Mann etwas helfen konnte. Und innerlich zufrieden, fuhr er wieder zurück.
Zum Friedhof wollte er erst noch und dort Käthes Grab aufsuchen.
Ob es wohl Recht sei, dem jungen Mann die Sachen gegeben zu haben? Den Rollstuhl und die Gehhilfen und das andere? Er glaubte, Käthe ganz zärtlich „Ja“ sagen zu hören und ein Lächeln, ihr Lächeln stand vor ihm.
Und als er wieder im Wagen saß, überlegte er, zur Deutschen Kirche zu fahren. Er könnte ja vielleicht mal nachsehen, wann denn überhaupt der Weihnachtsgottesdienst stattfinden würde.
Nicht, dass er nun auf seine alten Tage plötzlich sentimental geworden wäre, aber schließlich war er mit Käthe zumindest zu Weihnachten immer zur Kirche gegangen. Und vielleicht könnte ihn der Besuch am Heiligabend auch etwas aus seiner Verlassenheit holen, ihn wieder lebensbejahender stimmen?
Warum glaubte er, Käthes Lächeln schon wieder vor sich zu sehen?

Dieter K. Friedrich

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