Jedes Mal, wenn die Weihnachtszeit näher rückte, kamen in Alfred Trauer und eine seelische Müdigkeit auf, die er zu Lebzeiten seiner Frau niemals gekannt hatte. Aber seitdem Käthe vor vier Jahren – kurz vor Weihnachten – ihrer Krankheit erlegen war, schien ihm das Leben generell leer und sinnlos.
Drei Tage vor Heiligabend fuhr er ins Stadtzentrum, um die letzten Einkäufe zu machen. Den jungen beinamputierten Mann, der vor dem Supermarkt auf dem Bürgersteig am Boden saß, hatte er schon öfter bemerkt, ihm auch schon mal einen Dollar gegeben. Er wusste selber nicht, wie er heute auf die Idee kam, den Mann anzusprechen.
Kategorie: Kreatives Schreiben
Krismis Tea
Der Augenarzt war ein humorvoller Mensch. Er nahm Nancy die Unruhe, indem er sagte, dass schlimmstenfalls ihr Zustand genau so bliebe und den kenne sie ja nun schon seit sechs Jahren.
Heute, am Tag der Enthüllung, waren wir schon früh da. Nancy thronte im Krankenhausbett. Trotz verbundener Augen thronte sie. Sie hatte auch wirklich das gewisse Etwas einer Königin, was sich mit zunehmendem Alter noch verstärkte. Regal, würde der Engländer sagen. Ihre Vorbilder, man lache nicht, waren die Queen und die Queen Mum und ich war ihr Born des Wissens über diese englischen Hoheiten. Sechs lange Jahre hatte sie keine Bilder ihrer geliebten Königinnen betrachten können und war nur auf die Brocken angewiesen, die ich in meiner Alltagshast ihr zu geben die Zeit fand.
Die Schlacht
Und er steht dort vorn
an der Bugfront
und schaut
schaut über den fernen Horizont
und staunt
über all diese Wolken,
so ein Getürm
und er sieht es kommen
– das Gestürm.
Und er liegt richtig; er hat Recht
und denkt
denkt an das Tosen
in dunkelster Nacht
und handelt.
Er ruft all seine Burschen
beieinander
zu bändigen
das gigantische Durcheinander.
Und er kämpft gegen Himmelszorn
und wütet
wütet gegen starke Mauern,
ganz nah, ganz vorn
und ermüdet
an all solch’ Gewalten
an wütenden,
unsichtbaren Gestalten.
Und der Kampf nimmt ihn mit
weit hinweg
ihm hilft kein Geschick
er verliert
sein Leben in des Meeres Tiefen.
Es gab Dinge, die ihn dort riefen.
Minka Lüsse
geb. 1988
Schwesterliche Gemeinsamkeiten
Vorsichtig schob Andrea die Tür auf. Warum das Schloss schon aufgeknackt war, war sehr rätselhaft und beunruhigend. Wer war im Museum? Genauer gesehen durfte sie auch nicht hier sein, ein Dieb durfte nirgends sein. Aber seit sie die herrlichen Juwelen im großen Stadtmuseum zum ersten Mal gesehen hatte, musste sie sie einfach haben!
Leise schlich sie durch die Stille, die große, schwere Taschenlampe vorerst ausgeschaltet in der einen und das angeschaltete Feuerzeug in der anderen Hand. Andrea fand den Weg zu den Vitrinen im Schlaf. Eine ganze Woche lang war sie ihn in Gedanken schon gegangen. Vorsichtig sah sie sich um, plötzlich frierend, als sie die Person auf dem Boden vor den Vitrinen liegen sah. Verunsichert durch das nicht geplante Auftauchen des Anderen, hielt sie im Laufen inne. Schließlich schlich sie doch näher, darauf bedacht, immer eine Wand im Rücken zu haben. Als sie ihre Schwester erkannte, vergaß sie alle Vorsicht und kniete sich neben den liegenden Körper. Sie fühlte den Puls. Denise lebte noch! Andrea rüttelte an der Schulter der anderen und allmählich erwachte Denise.
Urlaubserinnerung
In diesem Sommerurlaub hab ich sie gesehen,
zu allen Gästen freundlich und bemüht.
Und bleibt sie an den Tischen stehen,
nimmt sie entgegen Wünsche und Beschwerden.
Und immer im Vorübergehen
verweilt mein Blick auf ihr und sieht,
wie schön sie ist; und dabei werden
ihr Gang und ganz alltägliche Gebärden
zu einem Tanz, zu einem leisen Lied.
Für deine Schönheit, deinen Gang,
für deine Gesten und dein Lächeln dank
ich dir, du Mädchen an der Bar,
das meine stille Liebe war.
Ich war in sie verliebt vom ersten Augen-Blick.
Sie anzusprechen, habe ich versäumt. –
Und manchmal denke ich zurück
wie an verschenkte Möglichkeiten,
wie an ein ausgeschlagnes Glück,
von dem ich glaub‘, ich hätt‘ es nur geträumt.
Noch eine Weile wird mich dieses Lied begleiten,
das für mich mehr ist als die Albumseiten,
in die man seine Urlaubsbilder räumt.
Für deine Schönheit, deinen Gang,
für deine Gesten und dein Lächeln dank
ich dir, du Mädchen an der Bar,
das meine stille Liebe war.
Angst
Die Kälte, die mich umgibt scheint sich in mein Innerstes hineinzufressen. Ich fühle wie mein Herz erstarrt, doch ich weiß, es ist nicht der eisige Wind, der dies hervorruft.
Sondern meine Angst.
Ich versuche mich zu orientieren, doch die Finsternis ist so dicht, dass ich das Gefühl habe, blind zu sein.
Mann, war ich ein Dummkopf! Allein in die Wüste zu fahren! Wie absurd! Ich könnte jetzt Marianne die
Schuld in die Schuhe schieben. Ohne sie wäre ich nicht so wütend geworden und daraufhin Hals über Kopf davongefahren.
Scheiß männliches Ego!
Verloren
Seit Stunden sitze ich neben meinem Mann in diesem staubigen Kleinwagen. Warum fährt er so schnell auf dieser Geröllpiste? Straße nennen sie das hier! Der Linksverkehr macht mich fast verrückt. Das ist ein Gefühl, als ob man ständig überholt. Zum Glück ist kaum Verkehr. Nein, das ist noch untertrieben. Es ist absolut tote Hose. Weshalb bin ich hier? Warum habe ich mich nicht durchgesetzt? Was ist denn so verkehrt an der Costa Brava? Hier ist es heiß, staubig, unbequem und so fremd. Afrika habe ich mir etwas anders vorgestellt: Palmen, exotisch bunte Blumen und angenehme Temperaturen, vielleicht noch Dschungel. Ich lasse mich schon seit Stunden durchschütteln, müsste nass geschwitzt sein, aber die Trockenheit saugt die Feuchtigkeit aus den Poren, bevor sie die Hautoberfläche erreicht. Der puderfeine Sand dringt durch alle Ritzen, dringt in meine Nase. Bestimmt hole ich mir eine Staublunge. Ich habe den Zwang mich ständig zu schnäuzen. Den Staub in der Kehle spüle ich mit lauwarmem Wasser hinunter.
Nie wieder …
Mit einem aufreizenden Grinsen schob er ganz langsam mit dem linken Unterarm das karge Geschirr vom wackeligen Tisch. Die letzten beiden Tassen gingen zu Bruch, der Blechteller überstand diese Gewalttat, die wenigen Speisereste spritzten über den Lehmboden.
Sie hatte sich in Erwartung des Kommenden in eine Ecke der Hütte neben dem offenen Zugang zum abgeteilten Schlafraum verzogen, bereit, die beiden Kinder zu schützen, die durch das Geschrei des betrunkenen Vaters aufgeweckt leise vor sich hinwimmerten, darauf hoffend, dass sie nicht auch wieder verprügelt wurden.
„Rück das Geld raus!“ Damit kam er mit einer erhobenen Hand drohend auf sie zu. Um ihn loszuwerden fingerte sie aus ihrem BH die letzten Dollars heraus und übergab sie ihm mit zittrigen Händen.
Alptraum gleich oder Nie wieder wie vorher
Kurz vor acht Uhr kam eine SMS mit der Mitteilung: „Wir kommen heute nicht zum Entenbraten und Formel 1 gucken.“
Der Sonntag wird abrupt zerfetzt.
Es ist kurz nach zwölf Uhr. Das Telefon zerreißt die Ruhe des Vormittags: „Ihr müsst sofort kommen, ein Unfall ist passiert.“
Perlen
Wenn es so heißt, dass Perlen Tränen
bedeuten, muss es doch möglich sein,
den Satz auch umgekehrt zu wähnen,
um dies Geschenk vom Makel zu befrein.
Wenn du in altersspäten Tagen
zurück schaust, wie es denn das Leben
im Guten wie im Argen wohl mit uns gemeint,
dann wünsch ich dir, du könntest sagen,
ich hätte dir so viel gegeben,
dass dies die Tränenkette war,
die du, in manchem schönen Jahr,
so offen sichtbar wegen mir geweint
und um den Hals getragen.