Der Gerhart Hauptmann-Preis

In unserer Serie „Deutsche Literaturpreise“

Almute Möller

Als die Freie Volksbühne e.V. Berlin 1952 den Gerhart-Hauptmann-Preis auslobte, konnte sie nicht ahnen, dass sie diesen 44 Jahre später vorläufig zum letzten Mal verleihen würde. Bis dahin sollte der Preis zur Förderung des zeitgenössischen Dramas in deutscher Sprache 33 Mal vergeben werden. „Ausgezeichnet werden kann sowohl das Gesamtschaffen der Bewerber/innen als auch ein einzelnes Bühnenstück. Die Thematik der Stücke sollte sich mit gegenwartsnahen Problemen befassen, aus denen ein Bekenntnis zur Würde des Menschen, zur sozialen Gerechtigkeit und zur Idee der Freiheit spricht.“ So beschreibt literaturport.de den mit 15.000 DM (1996) dotierten Gerhart-Hauptmann-Preis.

Gerhart Johann Robert Hauptmann (*15. November 1862, † 6. Juni 1946) hat lange gezögert, ob er Schriftsteller oder Bildhauer werden sollte. Als Autor war er sehr produktiv und vielseitig: Novellen oder auch Gedichte im Hexameter gingen ihm so leicht von der Hand wie die sozialkritischen Dramen, für die er heute noch bekannt ist. Vor 100 Jahren hat er den Literaturnobelpreis bekommen, vor 150 Jahren wurde er geboren. Anlässlich seines 90. Geburtstags initiierte Dr. Siegfried Nestriepke, maßgeblicher Gründer und auch Vorsitzender der Freien Volksbühne Berlin (FVB), im Jahre 1952 den nach dem großen Schriftsteller benannten Dramatikerpreis.

So kann man der Webseite der FVB entnehmen: „Zur Gründung verlas man einen Spendenaufruf und erklärte, der Preis solle von nun an alljährlich zum Geburtstag des Dichters einem oder auch mehreren Dramatikern, die in deutscher Sprache schreiben, verliehen werden […] . Zu diesem Zweck wurde eigens eine Spendenmarke zu je 10 Pfennig gedruckt. Unter den Einsendern der Sammelkarten wurden Werke Gerhart Hauptmanns verlost. Später wurde dieser Preis durch die Einführung eines Abgabe-Pfennigs auf jede Eintrittskarte zu einer von den Mitgliedern direkt finanzierten Auszeichnung.“

Da Gerhart Hauptmanns Aufstieg eng mit der Geschichte der Volksbühnenbewegung verbunden ist, liegt es auf der Hand, dass die Freie Volksbühne den von ihr ausgeschriebenen Preis nach dem zu der Zeit bedeutendsten deutschen Dramatiker benannte.

Zum Hintergrund: 1890 wurde die Freie Volksbühne Berlin (FVB) gegründet, als Ergänzung zur Freien Bühne, einem Berliner Theaterverein. Ziel des Vereins war es, für seine Mitglieder geschlossene Theateraufführungen zu veranstalten, um so „moderne“ – also naturalistische – Stücke aufführen zu können. (Eine preußische Polizeivorschrift verlangte eine polizeiliche Genehmigung von öffentlichen Theateraufführungen, durch den Verein konnte die Restriktion umgangen werden.) 1893 kam es zur Uraufführung von Hauptmanns Die Weber. 1895 wurden die geschlossenen Veranstaltungen der Freien Bühne schließlich verboten.

Ebenso wie Hauptmann einige seiner größten Erfolge den Aufführungen der Volksbühne verdankt, so beruhen auch früher Publikumszuspruch und Kassenerfolg der Theater der FVB auf dem Ideenreichtum und der Kreativität Hauptmanns, für dessen Themen sich gerade das Volksbühnenpublikum sehr empfänglich zeigte. Er schrieb über die Armen, Arbeitslosen und um Anerkennung Ringenden. „Es ist nicht möglich, für die herausragende Stellung und das hohe Ansehen, das Gerhart Hauptmann zu Lebzeiten als Schriftsteller und als Person des öffentlichen Lebens genoss, einen einfachen Grund zu finden“, schreibt Georg Holzer 2010 als Dramaturg am Bayerischen Staatsschauspiel, „ein wichtiger Teil seines Erfolgsgeheimnisses war aber sicher, dass es ihm gelang, ohne ein nennenswertes politisches Bewusstsein Theaterstücke zu schreiben, die als hochpolitisch wahrgenommen wurden. Das zeitgenössische Publikum folgte Hauptmann voller Interesse in seinen Windungen und Wendungen: Es gelang ihm wie keinem anderen deutschen Dramatiker seiner Zeit, den Geschmack seiner Zuschauer zugleich aufzunehmen und zu bilden.“ Hauptmann erläuterte sein Vorgehen gegenüber Hugo von Hofmannsthal als „liebendes Verstehenwollen und Sicheinsfühlen mit dem Volkstümlichen“. Alfred Kerr (1867-1948), deutscher Schriftsteller, Theaterkritiker und Journalist, pries Hauptmann als „großen Gestalter des Schmerzes und der menschlichen Einsamkeit“.

Seine große Zeit hatte der Gerhart-Hauptmann-Preis in den fünfziger Jahren, als er auch die Aufmerksamkeit berühmter ausländischer Schriftsteller, wie z. B. Sartre und Cocteau, auf sich zog und damit internationale Bekanntheit erlangte. Zudem leistete er einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der jungen und oft streitbaren deutschen Dramatiker und Dichter jener Zeit. Zu den 33 Preisträgern gehören Robert Musil, Martin Walser, Heinar Kipphardt (für In der Sache J. Robert Oppenheimer), Rainer Werner Fassbinder (für Katzelmacher), Siegfried Lenz (für Zeit der Schuldlosen), Peter Härtling (für Gilles) und, als einzige Frau, die deutsche Schriftstellerin Annette Kolb. Eine Welle der Empörung löste Peter Handke bei seiner Auszeichnung für Kaspar sowie für seine Publikumsbeschimpfung im Jahr 1967 aus, als er sich anlässlich der Preisverleihung gegen den Freispruch des Polizisten wandte, der Benno Ohnesorg während der studentischen Unruhen anlässlich des Schahbesuchs erschossen hatte. Im Jahr 1968, Symbol für die Studentenrevolte, entbrannte eine Diskussion um eine politisch und gesellschaftlich engagierte Literatur sowie über die Rolle der Künstler an sich, wodurch auch der Gerhart-Hauptmann-Preis infolge der Handke-Debatte des Vorjahres grundlegend in Frage gestellt wurde. Ab 1975 wurde der Gerhart-Hauptmann-Preis nur noch alle zwei Jahre verliehen, und 1996 wurden vorläufig zum letzten Mal Dramatiker mit der viel beachteten Auszeichnung bedacht: Dominik Finkelde für das Stück Abendgruß und Jens Roselt für Trüffel. Auf meine kürzliche Anfrage hin schrieb Prof. Dr. Dietger Pforte, Vorsitzender der FVB: „Die Freie Volksbühne Berlin hat den Gerhart-Hauptmann-Preis aus finanziellen Gründen seit 1996 nicht mehr vergeben. Freilich wollen Vorstand und Geschäftsführung der FVB den Preis wieder ausloben, sobald die finanzielle Situation des Vereins es gestattet.“

Das Augenmerk der Anhänger des bedeutendsten deutschen Naturalisten – und hoffentlich auch potenzieller Neu-Sponsoren des Gerhart-Hauptmann-Preises – wird sich nicht nur im November dieses Jahres auf den 150. Geburtstag und viele Veranstaltungen richten. Wer sich nun intensiv mit Hauptmann beschäftigen will, sollte zu einer nagelneuen Biografie greifen: Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biografie von Peter Sprengel, erschienen im C.H.Beck Verlag am 23. August 2012. „Sprengel ist etwas gelungen, das für Literaturwissenschaftler nicht selbstverständlich ist“, heißt es von news.de/dpa, „seine Biografie vermeidet Wissenschaftsjargon, bemüht sich um verständliche Sprache und spannungsreiches Erzählen.“

Und so erlauben Sie mir, werte Felsgraffiti-Leser/Innen, meine Ausführungen mit einem Zitat von Gerhart Hauptmann zu beschließen: „Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch, nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre.“

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