Sei uns gegrüβt! Wir, deine Erdentaten,
erwarten dich hier am Himmelstor,
du bist die Ernte deiner eigenen Saaten
und steigst mit uns nun zu dir selbst empor.
Karl May (1842-1912)
Eigentlich wollte ich für Sie, liebe Leser, den liebsten Schriftsteller meiner Jugend in strahlendes Licht stellen. Doch was musste ich bei meinen Recherchen alles über ihn erfahren! – Niedergedrückt legte ich ihn in nebelgraues Nichts. Und nebelgrau bis schwarz ist seine Kindheit. (Der Menschheitsjammer kam zu mir und weinte mir aus tiefen Augenhöhlen zu.) Geburtsort Ernstthal im Erzgebirge. Webermilieu. Zur Anreicherung des mageren Geldbeutels kommen Trickspielereien, Betrügereien und Schmuggel hinzu und immer das einzige Armeleutevergnügen: Schnaps, Sex und Primitivgeschwätz. Absichtlich minderwertig gehaltene Schulausbildung; wer sonst sollte den „Frondienst” leisten? Nicht die Gebildeten! Mit drei Monaten erblindet „Karle“ und das bleibt so bis er fünf ist. Er entwickelt einen „Innenblick“, sieht immer „Seelen“. Dieser Innenblick wird angereichert durch die Märchen- und Bibelerzählungen der Groβmutter und die Reiseerlebnisse eines weit gereisten Paten. Die charakteristische Mischung von Karl Mays märchenhafter Phantasie, angeblicher Wirklichkeit, von Erdichtetem und tieferer Wahrheit, von Abenteuerromantik und religiöser Missionierung wurde nicht zuletzt von diesen beiden Menschen beeinflusst. Auch kann ich mir gut vorstellen, dass er die Grundrisse seiner märchenhaften Helden – diese „Size XXL-Edelmenschen“ – schon im Kopf hatte, als er und seine Schwestern Tag für Tag die Mittelfinger für die zu fertigenden Leichenhandschuhe nähen mussten.