Krismis Tea

Der Augenarzt war ein humorvoller Mensch. Er nahm Nancy die Unruhe, indem er sagte, dass schlimmstenfalls ihr Zustand genau so bliebe und den kenne sie ja nun schon seit sechs Jahren.
Heute, am Tag der Enthüllung, waren wir schon früh da. Nancy thronte im Krankenhausbett. Trotz verbundener Augen thronte sie. Sie hatte auch wirklich das gewisse Etwas einer Königin, was sich mit zunehmendem Alter noch verstärkte. Regal, würde der Engländer sagen. Ihre Vorbilder, man lache nicht, waren die Queen und die Queen Mum und ich war ihr Born des Wissens über diese englischen Hoheiten. Sechs lange Jahre hatte sie keine Bilder ihrer geliebten Königinnen betrachten können und war nur auf die Brocken angewiesen, die ich in meiner Alltagshast ihr zu geben die Zeit fand.


Auf der Hauptstraße von Gobabis bat sie meinen Mann anzuhalten, denn sie wolle alles mooi gucken! Nancy trat mitten auf die Straße, drehte sich in alle Richtungen und „guckte“. Da sah sie in einem der wenigen Schaufenster ein kleines Weihnachtsbäumchen stehen, mit Kitschkunst geschmückt. In Begeisterung ausbrechend, eilte sie zum Fenster, schlug die Hände zusammen und sagte: „Krismis“.
Die anfängliche Hochstimmung auf der Werft über Nancys wiedergewonnenes Augenlicht wich bald einer gewissen Ernüchterung. Ihre Augen sahen Dinge, die ihr so gar nicht gefielen. Von früh bis spät ließ sie aufräumen, putzen, harken, fegen und gab den Kindern was hinter die Ohren, wenn sie mit Steinen warfen. Es war ja nun beileibe nicht so, dass man sich wünschte, Nancy wäre wieder blind, o nein, aber dass sie nun wieder so gut sehen konnte, dass sie das beschauliche Schmuddeldasein mit ihrem Unternehmen „sauber machen für Krismis“ durcheinander brachte, das hätte man sich ja nun auch nicht träumen lassen.
Am Tag vor Weihnachten kam die kleine Betta zu mir in die Küche und übermittelte mir die Einladung, die ich jedes Jahr von Nancy bekomme. Ich solle am Nachmittag zum Krismis Tea kommen. Ich drückte Betta die vorbereitete Tüte mit Keksen und Lekkers in die flinke kleine Hand und sagte, sie müsse mit den anderen teilen. Mit einem breiten Dankesgrinsen eilte sie davon.
So blitzblank war der Werfthof seit Jahren nicht mehr. Nancy stand in der Tür ihres kleinen Hauses. Sie trug ein weißblau-kariertes langes Kleid mit weißer Litze und weißer Schürze. Das turbanartig gewickelte Kopftuch war aus demselben Stoff. Die Sonnenbrille ließ sie wie eine Inkognito-Spionin aussehen. Die zwei Teenager Philip und Amon trugen mir den Karton in Nancys kleine Küche. Nancy scheuchte sie raus und sagte mir, dass ich mooi aussähe, und ich gab ihr das Kompliment zurück. Gleich darauf kamen die anderen drei Frauen aus ihren Häusern, jede mit einem Stuhl, und wir setzten uns um den kleinen Küchentisch, wo Teegeschirr und Vetkoekies schon bereitstanden. Ich öffnete den Karton und unter begeisterten Rufen der Anwesenden stellte ich den kleinen Weihnachtsbaum vom Schaufenster auf den Tisch. Eine große, goldene Kerze gesellte sich dazu und auch der duftende Weihnachtsstollen. Nancys herzförmiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen leuchtete vor Freude: „Die Here is goed vir my“, und wir alle stimmten ihr bei, dass der Herrgott es gut mit uns meinte. Unsere Krismis Tea Party war nun in vollem Gange. Alle kannten und liebten dieses alljährliche Ritual. Jede Frau wusste, dass ein Geschenk von mir für sie dabei war, und ich freute mich über jedes kleine Geschenk, das sie mir überreichten. Einige Sachen ließ ich jedoch in dem Karton.
Nach einer Stunde und einem auffordernden Räuspern von Nancy erhoben die Frauen sich widerwillig und mit einem letzten Blick auf den Karton nahmen sie ihre Stühle und Geschenke und verließen das Haus. Nancy ließ die Tür einen Spaltbreit auf, damit wir etwas Durchzug hatten. Sie griff sich einen Kochlöffel, trat ans geöffnete Fenster und schlug aufs Geratewohl ein paar Mal zu. Erschreckte Wehlaute und das Geräusch rennender Füße erklangen. Grinsend sahen wir uns an. Sie setzte sich und fragte: „Hast du Medizin mitgebracht?“
Ich nickte und griff in den Karton. Als Erstes zog ich ein großes, flaches Geschenk heraus. Während sie es bedächtig öffnete, entnahm ich dem Karton die Zutaten für unsere „Medizin“. Nancy jubelte, als sie die Fotomontage ihrer beiden Heldinnen betrachtete. Links ein Foto von der Queen, rechts eines von der Queen Mum und in der Mitte ein Foto von Nancy. Nagel und Hammer hatte ich auch mitgebracht und bevor wir uns nun ernsthaft unserer Medizineinnahme zuwandten, hängten wir das Bild an die Wand über den Esstisch.
Es war Zeit für die letzte Überraschung – zwei mit Blumen geschmückte Hüte. Nancy drückte sich ihren blauen Hut mit der rosa Rose fest auf ihr Kopftuch. Ich trug meinen grünen mit der blauen Blume im feschen Winkel. Mit unseren Gläsern, randvoll gefüllt mit der Medizin, welche die Queen Mum nach ihren eigenen Aussagen 100 Jahre alt werden ließ, verneigten wir uns leicht voreinander, dann verneigten wir uns etwas tiefer vor den Hoheiten und sprachen unseren Toast: „Merry Krismis, my dear, and to your very good health“, worauf wir die kleinen Finger abspreizten, unsere Gläser an die Lippen setzten und einen tiefen Schluck eisgekühlten Gin-Tonic tranken. Danach mussten wir ganz viel lachen.
Nancy bemerkte, dass die Medizinflasche dieses Mal größer sei als sonst. „Ja, für jedes Auge einen G.T.“, erwiderte ich und goss ein.
„Oh yes.“ Nancy erhob sich, ging hinüber zu ihrem Spiegel, hob das Glas, spreizte den kleinen Finger ab und sagte: „Merry Krismis, my dear, and to your very good health“.

Ingrid Kubisch

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