Felsgraffiti Heft 18

Liebe Leserinnen und Leser,

Kaum ein Thema ist in den letzten Monaten in der deutschen Öffentlichkeit Namibias so leidenschaftlich diskutiert worden wie der unheimlich heimliche Abbau des Reiterdenkmals. Vom Sockel in den Hinterhof der Geschichte, aus den Augen und dem Sinn sind Ross und Reiter nun direkt ins Volksgedächtnis gesprungen. Ob sie dort eine neue Variante geschichtskonformen Daseins führen – darüber erfahren sie mehr in unserer Glosse.

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Ein nächtlicher Überfall

Reimer Thiessen

„Verdammt. Dann hatte das Auto, das vorhin auf der Pad angehalten hat, also doch jemanden abgeladen. Ich wollt‘ doch sagen, dass ich die Tür hab‘ knallen hören.“ Die Hunde bellen sehr erregt innerhalb des Sicherheitszauns, und zwar am Törchen, das nach hinten hinausführt. Während ich die Schrotflinte aus dem Gewehrschrank hole, gebe ich meiner Frau strikte Anweisungen, sich hinter dem Küchenfenster zu positionieren, ohne sich, trotz absoluter Dunkelheit, als Opfer herzugeben. „Am besten knie dich hin und versuche, je nach Hundegebell, nachzuvollziehen, was sich abspielt, damit du im Notfall eingreifen kannst.“

„Pass auf dich auf“, lenkt sie leise von ihrer deutlich spürbaren Angst ab. Ich versuche, meine Nervosität durch forsches Handeln zu überspielen.

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Freundlicher Empfang

Marina Kunert

„Sie machen das zum ersten Mal, oder?“

Frankie konnte den Schmerz in seinem Gesichtsausdruck nicht verstecken. „Ja“, gab er kleinlaut, halb fragend, zu.

„Und jetzt?“

Er bemühte sich um einen selbstbewussten Ausdruck, blickte aber eher ratlos aus der Wäsche.

„Ich bin Heidi und das ist mein Mann Albert.“

„Ah ja.“

„Wir wohnen erst seit ein paar Monaten hier.“

„Ach so.“

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Er wird kommen

Barbara Kahler

Die Frau wiegt die Pistole in der Hand, eine Glock 9 mm Automatik, neun Patronen im Magazin, eine im Lauf: geladen, gespannt, schussbereit. Wie ich, denkt sie. Ich bin auch geladen, aber vor Wut und Angst. Morgen ist der letzte Tag, ich bin gespannt darauf, wann er auftaucht, und mit wie vielen Leuten. Aber bin ich schussbereit?

Sie weiß, sie ist eine miserable Schützin, trifft keine Konservendose aus drei Meter Entfernung, fürchtet sich vor dem Lärm und dem Rückstoß. Versteht völlig, warum Frauen lieber vergiften als erschießen oder erstechen. Aber sie hat nun einmal die Glock, genau die gleiche wie er, sie hatten sich einmal beide das gleiche Modell gekauft, fanden das eine gute Idee. Er hatte Pistole und Waffenschein vor über einem Jahr abgeben müssen, als sie endlich eine gerichtliche Verfügung gegen ihn erwirken konnte und er mit Polizeigewalt aus dem Haus gezwungen wurde.

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Mauser 98

Heiko Denker

Die 30- 06 steht schon viel zu lange ungebraucht im Schrank! Peter grinst, als er mit der Hand über den kühlen Lauf fährt. So anders als nach einem Schuss. Die Aufregung, klopfendes Herz, der heiße Lauf, die Entspannung. Am Kammerstängel angekommen, löst er langsam das Schlösschen seiner Mauser 98 aus der Kammer, entfernt es von der Waffe.

Mausi, wie schön war das damals, am Anfang, als wir ungesehen im Busch verschwanden und uns austobten.

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Wer ist hier blöd?

Peter Breitenstein

Theophilius kauerte unter dem Fenster des dritten Schlafzimmers, das als Büro umfunktioniert worden war. Er war eines der DDR-Kinder, das nach 24 Jahren immer noch keinen richtigen Job hatte. Sein jämmerliches Einkommen von hundert Nam-Dollar verdiente er sich bei Herbert als Gartenjunge, einmal in der Woche.

Es war spät am Abend, drinnen saß Herbert am Computer und skypte mit seiner Schwester Sabine, die in Australien lebte.

„Ja, Herbert, jetzt, wo ich gehört habe, wie es dir geht, erzähl mal, was sonst so los ist bei euch da in Namibia?“, fragte sie.

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Im Fadenkreuz die Kurzgeschichte

Ein Knall! Ein Schuss?
Karoline Schünemann

Manches hatte ich im Vorfeld über die Schreibwerkstatt gehört und gelesen, und nun bot sich mir zum ersten Mal die Gelegenheit selbst daran teilzunehmen. Ehrlich, ich hatte meine Zweifel – Kurzgeschichte, dunkel erinnerte ich mich an quälende Schulstunden; ein Schießvorfall, damit konnte ich rein gar nichts anfangen. Und doch fing ich an, mir Gedanken zu machen, packte meine Tasche und fuhr nach Omaruru.

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Lieber Opa!

Hab’ Dank für deine Mail. Auch wenn sie so typisch altmodisch deutsch anmutet. Aber zumindest verstehe ich jetzt einiges besser, wenn auch nicht unbedingt in deinem Sinne. Was ich jedoch absolut nicht kapiere, ist eure Humorlosigkeit in der Sache.

Du fragst erbost, was ich denn an eurer Stelle getan hätte. Nun, erst einmal wäre ich vom hohen Ross der moralischen Überlegenheit runtergeklettert, hätte meinen Kritikern die Hand gereicht und gesagt: „So, liebe Freunde, jetzt lasst uns mal ehrlich miteinander reden – mit Betonung auf ehrlich.“ Ich hätte gesagt: „Weil mir wirklich an ‚Reconciliation’ gelegen ist, will ich endlich mal wissen, warum ihr so sauer auf den Reiter seid.“ Dann hätte ich den Mund gehalten und ganz genau zugehört. Und weil mir beim Zuhören jede Menge Lichter aufgegangen wären, hätte ich mir von einem fähigen Bildhauer (keinem Nordkoreaner) einen neuen Schutztruppenreiter und eine Herero-Frau in voller Montur besorgt. Diesen neuen Reiter hätte ich anstelle des alten auf das Pferd gesetzt. Er hätte seinen Hut gezogen, sich leicht vornüber gebeugt, das Gewehr über den Sattel gelegt und als galanter Kavalier der Herero-Frau einen Strauß Blumen überreicht. Und sie? Sie hätte mit einem strahlenden Lächeln zu ihm aufgeblickt, einen Knicks gemacht und ihm gedankt. Was meinst du, wie so etwas eingeschlagen hätte? Die Bevölkerung hätte euch gefeiert wie Madonna auf Welttournee. Aber die Chance habt ihr vertan, weil ihr in eurer Bierernstigkeit so fantasielos agiert.

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Wer ist der Größte?

Zum 450. Geburtstag von William Shakespeare
Dieter Esslinger

Schriftsteller und Dichter sind nationale Persönlichkeiten. Sie schreiben in der Sprache ihrer Heimat und werden von ihren Mitbewohnern als nationalen Besitz gesehen, anders als Musiker und Maler, die nicht an eine nationale Identität, sondern an Stile gebunden sind, die auch in anderen Ländern beheimatet sind. Die Frage, wer der größte Schriftsteller oder Dichter ist, greift das Nationalbewusstsein auf.

Uns als literarisch Interessierte sollte diese Unterscheidung nicht beschäftigen, uns sind Autoren aller Sprachen ebenbürtig. Deswegen ist die Frage berechtigt: Gilt William Shakespeare als der bekannteste Dichter der Weltliteratur? Oder ist es vielleicht doch Goethe oder ein anderer?

Shakespeares Geburtsdatum ist nicht nachweisbar; er wurde am 26. April 1564 in Stratford-upon-Avon in Warwickshire in England als das dritte von acht Kindern einer mittelständischen Familie getauft. Auch über seine Schulerziehung gibt es keine Angaben, wahrscheinlich besuchte er eine „Grammar School“, die eine solide Grundausbildung in Latein vermittelte.

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