Sternenstaub

von Doro van Vuuren

Die Sterne blickten ihr über die Schulter, als Dr. Anne Heisler aus der langen Reihe von Probengläsern mit Sternenklumpen Probe 145c herausgriff und in ihrer unermüdlichen Art die Probe wie im Schlaf aufbereitete. Sie fühlte sich heute Abend gut, fast federleicht. Das kam auch daher, dass sie heute das erste Mal Blickkontakt mit Dr. Böhmerhannes hatte, einem Lektor der Ur- und Frühgeschichte. Und sie meinte, er hätte ihr zugezwinkert. Es könnte auch nur eine Wimper in seinem Auge gewesen sein, aber das wollte sie nicht glauben. Sie hatte das Gefühl, heute Nacht sei alles möglich …
Schon während der Studienzeit hatte es keinen Test zur Untersuchung von hochmolekularen Verbindungen gegeben, den sie nicht schneller und gewissenhafter durchführen konnte als alle anderen Studenten. Ihre männlichen Kommilitonen nutzten das reichlich aus und baten Anne, bei ihren nächtlichen Tests die ihren gleich mit durchzuführen, während sie die Nächte in Studentenbars durchbrachten. Anne dagegen liebte das Labor.

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Nezumi no Rei

von Jan J. Risser

„Da! Siehst du es?“
„Schhhh …“
Vor uns raschelt es im Unterholz.
„Da vorne im Dickicht!“
„Schhhh! … Ich sehe es.“
Es raschelt wieder. Yuriko und ich halten beide den Atem an, wir dürfen uns jetzt um keinen Preis verraten. Es ist so nah, dass ich seine Aura fast schmecken kann. Meine Sinne sind bis aufs Äußerste geschärft, meine Konzentration gespannt wie eine Bogensehne. Was dem achtlosen Wanderer auf immer verborgen bleibt, kann ich deutlich wahrnehmen. Nur ein paar Meter vor uns im Unterholz hockt es. Und doch nicht Teil von unserer Welt.

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Fauler Zauber

von Ingrid Kubisch

Mein Lachen klingt schrill und unnatürlich und ich fahre Magdalena an: „Nun spinnst du total! Geh an deine Arbeit!“ Dieser grobe Ton ist gar nicht meine Art und nur auf meine Enttäuschung zurückzuführen, dass meine treue und gescheite Haushaltshilfe sich binnen einer Nacht von einer modernen Damara Frau in ein heulendes, zitterndes, Wesen verwandelt hat.
Schuld daran ist die ungeheuerliche Nachricht, die sie mir soeben unter Tränen mitgeteilt  hat. Magdalena soll verzaubert werden! Eine gute Freundin sei gestern Nacht speziell angereist um sie zu warnen, dass Magdalenas Familie ihre Verzauberung in Auftrag gegeben habe, angeblich, weil sie unverschämt reich sei! Ihre eigene Verwandtschaft! Ein Cousin soll in absehbarer Zeit den Fluch aussprechen.
Magdalena besitzt Rinder, hat Geld auf der Bank und ein gut eingerichtetes Haus. Vor zwei Wochen hat sie sich ein Auto gekauft. Der Autokauf hat nun das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine Arbeiterin auf einer Farm, die Auto fahren kann und dazu auch noch eines besitzt! Das ist unerhört! Autofahren ist Männersache!

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Ein Tag in meinem Leben, ich Malaika bint Amr al-Gamila

von Jasmin Kötting-Bauer

Es war so nah, dass ich es schmecken konnte: Das Sturmgewitter, das radioaktiven Sand herbeiwehte, und vor dem wir uns tief in unsere Höhle verkriechen mussten.
Wir hatten sie in mühevoller Kleinarbeit durch einen Stollen erweitert, der tief in das Gestein einschnitt. Unten hielten wir Vorräte an Nahrungsmitteln. Das Wasserreservoir lagerte auf  halbem Wege. Es lag in Schläuchen aus Gazellen-Kadavern. Unsere Nahrung bestand hauptsächlich aus Grassamen und Pflanzenfasern, die wir mit den Resten des künstlichen Vorverdauungsmittels, das wir noch besaßen, essbar machten. Außerdem aßen wir allerlei Kleingetier aus der Wüste.
Zum Glück hatten wir nur die entfernten Ausläufer des Atomschlags abbekommen. Unsere Haut vernarbte von der radioaktiven Strahlung, aber wir überlebten. Die Wundsalbe aus der Embryonenforschung, von der wir immer eine kleine Menge dabeihatten, war sehr hilfreich bei der Wundheilung.

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Drei Goldstücke

von Miriam Hutterer

Es war so nah, dass ich es schmecken konnte. Mir lief schon das Wasser im Mund zusammen. Die Pasteten vom alten Tradon waren die besten der Stadt. Die Menschen hier in der Oberstadt wussten, wie man lebt. Und wenn ich davon ein kleines Stückchen abbekommen wollte, musste ich mich beeilen. Die letzten Schritte zum Marktstand mit den köstlichen Auslagen legte ich schneller zurück. Die Kapuze meines verschlissenen Umhangs hing mir tief ins Gesicht. Ich griff zu und, ohne meinen Schritt zu verlangsamen, wanderte eine Pastete unter den Umhang. Sie war noch warm und vor lauter Vorfreude grummelte mein Bauch.
Erst als ich mich weit genug vom Marktplatz entfernt hatte, wurde ich langsamer und mit einem Griff an mein Amulett dankte ich dem Gott der Dunkelheit für seinen Beistand. Ich konnte es mir nicht erlauben, ausgerechnet die Gunst dieses Gottes zu verlieren!
Nicht alle Bewohner der Unterstadt beteten zum Gott der Dunkelheit, aber wenn man – wie ich – in den Vierteln vor den Stadtmauern, im Schatten der Türme des Palastes aufgewachsen war, konnte man es sich nicht leisten, ein Gebet oder Dank auszulassen.

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Gnome

von Helga Falk

Wir waren glücklich, einzig Omegameni und die restlichen Winzlinge raubten uns durch ihre Penetranz zeitweilig den letzten Nerv. Aber irgendwann lebten wir mit ihnen so, wie wir es vor der Katastrophe mit Mücken, Fliegen und anderem Ungeziefer getan hatten, und genauso hauten wir auch mal feste auf sie drauf. Sie gehörten einfach dazu, bis zu diesem Tag, genauer, bis zu diesem Abend im Oktober.
Er war so nahe, dass ich ihn fast schmecken konnte. Am Morgen berührte Omegameni beinahe mein Gesicht, als er mir, wie immer sehr aufgeregt, um den Kopf herumflog. Hätte ich nur einen Schritt nach vorne gemacht, wäre er mir direkt in den Mund geflogen.
„Omegameni, heute riechst du aber gut! Machst du dich über mich lustig?“

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Change Scenario Now!

von Wolfgang Demenus

Es war so nah, dass ich es schmecken konnte. Das Meer lag wie ein salziger großer Spiegel vor mir. Als ich meinen Blick nach links bewegte, fiel dieser sofort auf das Fischerdorf. Ich überlegte hektisch, ob ich dort weitermachen sollte, wo ich vor dem Standby aufgehört hatte. Oder doch lieber ein anderes Scenario im Pull-down-Menu wählen?
Ich befürchtete, dass sich seit meiner Reiseunterbrechung nicht viel im Dorf verändert hatte. Noch immer würden die Frauen und Kinder darauf warten, dass ihre Männer und Väter endlich mit vollen Booten nach Hause kämen; noch immer würde gähnende Langeweile und flirrende Hitze im Dorf herrschen. Noch immer würden die Kinder bei ihren Müttern über Hunger klagen und dabei auf ihre leeren Bäuche zeigen. Noch immer würden die Frauen flehend zum Horizont blicken. Noch immer keine Spur von Booten, von Fischen, von Hoffnung.
Ein Erinnerungsfetzen flackerte auf, um sofort wieder im Cyberspace zu verschwinden.

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Verlaufen

von Susanne Cranz

Es war so nah, dass ich es schmecken konnte.
Modrig grün und dunkel hing der Nebel über dem Moor. Kein Licht war mehr zu erkennen.
Der Geruch nach Verwesung hing dick und schwer in der Luft, ich fühlte seine Last auf meinen Schultern und konnte kaum atmen.
Meine Füße sanken ein, suchten immer wieder Halt, vergeblich. Aber ich musste doch weiter, immer weiter. Ich wurde getrieben. Die Gedanken flogen in alle Richtungen, um einen Ausweg zu finden, verfingen sich aber wie ein Knäuel in meinem Kopf.
Doch dann, wie aus einer anderen, aber vertrauten Welt, erahnte ich ganz in der Ferne einen feinen, süßen Hauch von Licht und Leben, der meine Sinne sensibilisierte und mich am Leben hielt, meine Hoffnung nährte, meine suchenden Augen und Ohren schärfte:
Sehnsucht …

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Elsie

von Susanne Cranz

Mit zusammengezogenen Augenbrauen saß das junge Mädchen schmollend auf ihrem Stuhl und starrte aus dem Fenster. Ihr ganzer Körper drückte Widerstand aus: Die Schultern hochgezogen wandte sie sich ab, verkroch sich in sich selbst.
„Warum ist Elsie nur so renitent und bockig? Sie könnte doch wenigstens mal zuhören, anstatt gleich die Zähne zu zeigen!“, dachte die Mutter, während sie mit zitternden Händen die Patience legte, um sich zu fangen.
Sie wusste, dass sie viel Geduld brauchte, um ihre Tochter nicht ganz zu verlieren. Die Szenen, unerklärlicher Entfremdung, liefen immer wieder gleich ab, wie ein „Remake“ eines alten Filmes. Als kämen sie aus verschiedenen Welten, hätten unterschiedliche Gefühle und Bilder in sich, klaffte ein Abgrund zwischen ihnen auf. Kein Zugang war erlaubt.

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Amazing Grace

von H. J. Bollinger

Sie sang von den Weiten Schottlands, vom Meer, Strand und Tang, blühender Erika, Erinnerungen meiner Jugend, so nahe, dass ich das Meersalz in der kalten Luft fast schon schmecken konnte.
Ich liebte ihren Gesang, die subtilen Obertöne, die nur angedeuteten Harmonien, die Sehnsucht in der nur einfachen Melodie … Das immer wiederkehrende Motiv der Pentatonika mit dem fast versunkenen Rhythmus, die klagenden, langen Töne, schier schmelzend.
Abschied von der Heimat, von Schottland, von der Welt, auf der ich einst lebte. Derweil raste das Raumschiff mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zu unserem nächsten Stern: Alpha Centauri. Zu dem Planeten, auf dem sich unsere Wissenschaftler nicht nur Leben, sondern auch noch intelligentes Leben und Kultur, Technik, Fortschritt versprachen.

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