Bericht der Jury

Felsgraffiti-Literaturwettbewerb 2012, Thema „Sand”
Sabine Aquilini

Um es gleich vorweg zu sagen, die vier Jurymitglieder Doris Meyer, Sabine Aquilini, Uwe Zeise und Erich Kunderer hätten sich über noch mehr Wettbewerbs-Einsendungen gefreut.
Um möglichst ausgewogen urteilen zu können, wurden im gemeinsamen Gespräch erst einmal die Kriterien festgelegt. Nebst der Relevanz zum Thema und zu Namibia, war dies auch Originalität und ob das Werk beim Leser einen bleibenden „Eindruck“ hinterlässt.

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Eine Handvoll Sand

Vom ersten Augenblick des Kennenlernens war er, der Jagdgast, ihm unsympathisch gewesen und seine Frau empfand genauso. Da saß er, übergewichtig, in dem breiten Holzstuhl mit Lehne, hielt sein gefülltes Whiskeyglas in der rechten und den Zigarillo in der linken Hand und wenn er sprach, und das tat er fast immer, sprach er zu laut und sein Thema war naturgemäß die Jagd. Er zählte auf, wo in aller Welt er gejagt hatte, nachdem er sich von seiner Firma im Rheinland zurückgezogen hatte, die nun der Sohn führte. Seit wenigen Jahren hatte er endlich Zeit und konnte sich seine Träume erfüllen. So erzählte er von den elf Böcken, die er an einem Tag in Polen geschossen hatte, von seinem Kapitalhirsch, den er in Ungarn auf eine Entfernung von dreihundert Metern – den Kommentar des Farmbesitzers „bei mir nicht“ überhörte er beflissentlich – gestreckt hatte, wobei der Hirsch durch einen Schuss ins Rückgrat auf der Stelle zusammenbrach. Weiter berichtete er von seinen von Erfolg gekrönten Abenteuerjagden in Kanada auf Elch und in Alaska auf Bären.

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Salomonischer Sand

Herman Salomon sieht zu, wie die Regentropfen den Sand in der Schubkarre essen. Oder isst der Sand die Regentropfen? Die ersten Tropfen glitzern noch einige Sekunden lang wie Glassteine auf der Sandoberfläche, bevor sie zu dunklen Flecken versickern. Aus trockenem Sand wird feuchter und jetzt verwandeln sich die Tropfen gleich mit dem Aufprall in Flecken, wachsen ineinander, so dass Herman nicht mehr erkennen kann, wo welcher Tropfen zum Fleck wird. Dafür landet jetzt jeder Tropfen mit einem Klatschgeräusch und hinterlässt Kurzzeitkrater. Herman steckt seinen linken Zeigefinger in den nassen Sandhaufen, wackelt ihn hin und her. Komisch. Nasser Sand ist wabbelig, aber er ist trotzdem hart. Soll er noch versuchen, den Sand aus der Schubkarre zu kippen? Herman zieht den Finger aus dem Sand und legt die Hände an die Schubkarrengriffe.

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Der Sand im Stundenglas

Es war Sonnenaufgang, als Taku, der Buschmann, sich überlegte, wie er den Tag bis zum Sonnenuntergang verbringen sollte. Seine Freiheit und Unabhängigkeit erlaubtem ihm eine gewisse Wahl. Sicher, irgendwann würde er jagen müssen und irgendwann Wasser für die Sippe holen, aber genauso wichtig waren ihm Gelegenheiten zum Ruhen, zum Spielen mit den Kindern und stille gemeinsame Momente mit seiner Frau. Er beschloss über seinen Gedanken, zunächst einen Spaziergang durch die Sanddünen zu machen. Kaum war er unterwegs, begegnete er einem dieser merkwürdig hellhäutigen Menschen, die seit einigen Monden die Kalahari in viel zu warmer Kleidung durchstreiften. Dieser hier nun wirkte irritiert und irgendwie unsicher. Taku fragte ihn, was los sei; er hatte etwas von der Sprache der Weißen aufschnappen können.

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Geschrumpfter Riese

„Erzähl mir von früher, Mama.“ Greta setzt sich zu ihrer Mutter auf die Veranda des Farmhauses.
Anna runzelt die Stirn. „Was soll das? Fängst du schon wieder an? Da gibt es nichts zu erzählen.“ Sie kneift die Lippen zusammen und schaut auf das karge, trockene Land, das ihr Heimat geworden ist.
„Ach, Mama, sei doch nicht so. Nun ist Papa tot und ich weiß kaum etwas über eure Vergangenheit. Wie wäre es? Erzähl einfach von einem ganz besonderen Tag in deinem Leben.“ Langsam wendet
Anna den Kopf und schaut die Tochter an. Hinter ihrer Stirn arbeitet es. „Bitte, Mama, es ist mir wichtig.“ Die alte Frau seufzt, steht schwerfällig auf, geht langsam ins Haus, kramt herum.
Als sie zurückkommt, hält sie in der rechten Hand ein kleines Schraubglas. Die Tochter schaut neugierig auf. Ein wenig Sand erkennt sie und etwas Weißes: einen kleinen Knochen? Anna setzt sich und murmelt: „Du willst es so. Ich warne dich, angenehm wird die Geschichte nicht!“ Sie räuspert sich und beginnt stockend zu erzählen.
„Du weißt, ich bin in Windhoek aufgewachsen. Dort lernte ich deinen Vater kennen, als er einige Wochen in der Stadt war. Du erinnerst dich sicher, wie gut er aussah, strahlend, ein Mann wie aus dem Bilderbuch.“ Greta nickt. „Ich war so stolz, als er mich auswählte, gerade mich. Ich war weder hübsch noch tüchtig, nicht schlagfertig, nicht witzig. Eigentlich stand ich immer im Schatten.“ „Aber Mama, das stimmt nicht!“ „Was weißt denn du! Ich blühte auf. Ich wusste, das Leben auf der Farm würde hart sein, aber ich habe mich darauf gefreut, war sicher, alles meistern zu können, Arbeit, Einsamkeit, Trockenheit. Er war ja bei mir.“
Anna schüttelt sanft das Glas, lauscht auf das leise Klicken des Knochens.
„Mein Glück währte nicht lange“, fährt sie trocken fort, „geschlagen hat er mich selten, aber beschimpft, ausgenutzt, erniedrigt. Ich war seine Arbeitssklavin, mehr nicht. Ich wurde immer kleiner. Er brauchte das, aber das erkannte ich erst später. Ich nahm alles hin, kannst du dir das vorstellen?“ Ihr Gesicht wird hart, zornig. „Immer weiter bin ich geschrumpft – und er wuchs. Er wuchs von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, wurde übermächtig, ein böser, gefährlicher Riese, gegen den ich mich nicht wehren konnte.“ Ihr Lachen klingt wie ein Schluchzen.
„Und dann kam er, der besondere Tag, nach dem du gefragt hast, der Tag, als meine Welt sich veränderte.“ Anna stockt, schüttelt energisch den Kopf. „Nein, der Tag, an dem ICH meine Welt veränderte. Als ich aufwachte an diesem Morgen, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Monaten leicht und unbeschwert. Ganz deutlich konnte ich mich an meinen Traum erinnern: Der böse Riese war kleiner geworden – vor meinen Augen. Ich konnte auf ihn herabsehen. Er war eingesperrt hinter einer gläsernen Wand, an der seine verletzenden Worte, seine arroganten Gesten abprallten. Da wusste ich, meine Zukunft bestimmte ich allein.“
Sie zögert, betrachtet sinnend ihre unruhigen Hände. „Wir hatten einen Hund, Arko, einen jungen Dobermann. Er war der Augenstern deines Vaters. Ihm schenkte er Zeit, Zuneigung, ihn streichelte er zärtlich, nahm ihn mit, wenn er auf der Farm unterwegs war, für ihn fand er immer freundliche Worte. An diesem Morgen drohte ein Sandsturm, darum hatte er Arko zu Hause gelassen. Ich brauchte nicht nachzudenken,
wusste genau, was ich tun würde.“ Sie blickt Greta in die Augen, redet jetzt laut und ganz deutlich. „Ich holte die Leine, lief los mit dem Hund
bis zu meinem Lieblingsplatz zwischen den Felsen an der Farmgrenze. Dort band ich Arko sorgfältig fest an den alten Kameldornbaum – dabei stellte ich mir den geschrumpften Riesen vor. Ich schaute den Hund nicht mehr an, hätte die Verständnislosigkeit, den Schmerz in seinen Augen nicht ertragen. Ich lief zurück ohne ihn, sein hoffnungsloses Jaulen gellte lange in meinen Ohren.“
Greta starrt ihre Mutter an, fassungslos, aber sie sagt nichts. Anna richtet sich auf. „Der Rest ist schnell erzählt. Wegen des Sturms konnten die Männer erst am nächsten Tag nach dem Hund suchen; er wurde nicht gefunden. Ich hatte deinem Vater gesagt, sicher sei Arko ihm nachgelaufen und habe sich verirrt. Ich weiß nicht, ob er mir glaubte. Fest steht, seit diesem Tag veränderte sich unsere Beziehung. Er spürte
wohl, dass er mich nicht mehr verletzen konnte. Er behandelte mich mit Respekt. Es wuchs keine Liebe zwischen uns, aber ein Zusammenleben war möglich, denn wir begegneten uns auf Augenhöhe. –
Nur einmal noch bin ich zu meinem Lieblingsplatz gegangen. Es war kurz nach deiner Geburt. Dort fand ich im Sand diesen kleinen Knochen.“ Sie hebt das Glas hoch. „Wenn es mal wieder schwierig wurde, holte ich es aus seinem Versteck.“ „Und dann hat es dich an deine Kraft erinnert, nicht wahr, Mama?“ Greta hat Tränen in den Augen. Anna nickt schweigend. „Bitte, Mama, schenkst du mir das Glas?“

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