Es war Sonnenaufgang, als Taku, der Buschmann, sich überlegte, wie er den Tag bis zum Sonnenuntergang verbringen sollte. Seine Freiheit und Unabhängigkeit erlaubtem ihm eine gewisse Wahl. Sicher, irgendwann würde er jagen müssen und irgendwann Wasser für die Sippe holen, aber genauso wichtig waren ihm Gelegenheiten zum Ruhen, zum Spielen mit den Kindern und stille gemeinsame Momente mit seiner Frau. Er beschloss über seinen Gedanken, zunächst einen Spaziergang durch die Sanddünen zu machen. Kaum war er unterwegs, begegnete er einem dieser merkwürdig hellhäutigen Menschen, die seit einigen Monden die Kalahari in viel zu warmer Kleidung durchstreiften. Dieser hier nun wirkte irritiert und irgendwie unsicher. Taku fragte ihn, was los sei; er hatte etwas von der Sprache der Weißen aufschnappen können.
Geschrumpfter Riese
„Erzähl mir von früher, Mama.“ Greta setzt sich zu ihrer Mutter auf die Veranda des Farmhauses.
Anna runzelt die Stirn. „Was soll das? Fängst du schon wieder an? Da gibt es nichts zu erzählen.“ Sie kneift die Lippen zusammen und schaut auf das karge, trockene Land, das ihr Heimat geworden ist.
„Ach, Mama, sei doch nicht so. Nun ist Papa tot und ich weiß kaum etwas über eure Vergangenheit. Wie wäre es? Erzähl einfach von einem ganz besonderen Tag in deinem Leben.“ Langsam wendet
Anna den Kopf und schaut die Tochter an. Hinter ihrer Stirn arbeitet es. „Bitte, Mama, es ist mir wichtig.“ Die alte Frau seufzt, steht schwerfällig auf, geht langsam ins Haus, kramt herum.
Als sie zurückkommt, hält sie in der rechten Hand ein kleines Schraubglas. Die Tochter schaut neugierig auf. Ein wenig Sand erkennt sie und etwas Weißes: einen kleinen Knochen? Anna setzt sich und murmelt: „Du willst es so. Ich warne dich, angenehm wird die Geschichte nicht!“ Sie räuspert sich und beginnt stockend zu erzählen.
„Du weißt, ich bin in Windhoek aufgewachsen. Dort lernte ich deinen Vater kennen, als er einige Wochen in der Stadt war. Du erinnerst dich sicher, wie gut er aussah, strahlend, ein Mann wie aus dem Bilderbuch.“ Greta nickt. „Ich war so stolz, als er mich auswählte, gerade mich. Ich war weder hübsch noch tüchtig, nicht schlagfertig, nicht witzig. Eigentlich stand ich immer im Schatten.“ „Aber Mama, das stimmt nicht!“ „Was weißt denn du! Ich blühte auf. Ich wusste, das Leben auf der Farm würde hart sein, aber ich habe mich darauf gefreut, war sicher, alles meistern zu können, Arbeit, Einsamkeit, Trockenheit. Er war ja bei mir.“
Anna schüttelt sanft das Glas, lauscht auf das leise Klicken des Knochens.
„Mein Glück währte nicht lange“, fährt sie trocken fort, „geschlagen hat er mich selten, aber beschimpft, ausgenutzt, erniedrigt. Ich war seine Arbeitssklavin, mehr nicht. Ich wurde immer kleiner. Er brauchte das, aber das erkannte ich erst später. Ich nahm alles hin, kannst du dir das vorstellen?“ Ihr Gesicht wird hart, zornig. „Immer weiter bin ich geschrumpft – und er wuchs. Er wuchs von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, wurde übermächtig, ein böser, gefährlicher Riese, gegen den ich mich nicht wehren konnte.“ Ihr Lachen klingt wie ein Schluchzen.
„Und dann kam er, der besondere Tag, nach dem du gefragt hast, der Tag, als meine Welt sich veränderte.“ Anna stockt, schüttelt energisch den Kopf. „Nein, der Tag, an dem ICH meine Welt veränderte. Als ich aufwachte an diesem Morgen, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Monaten leicht und unbeschwert. Ganz deutlich konnte ich mich an meinen Traum erinnern: Der böse Riese war kleiner geworden – vor meinen Augen. Ich konnte auf ihn herabsehen. Er war eingesperrt hinter einer gläsernen Wand, an der seine verletzenden Worte, seine arroganten Gesten abprallten. Da wusste ich, meine Zukunft bestimmte ich allein.“
Sie zögert, betrachtet sinnend ihre unruhigen Hände. „Wir hatten einen Hund, Arko, einen jungen Dobermann. Er war der Augenstern deines Vaters. Ihm schenkte er Zeit, Zuneigung, ihn streichelte er zärtlich, nahm ihn mit, wenn er auf der Farm unterwegs war, für ihn fand er immer freundliche Worte. An diesem Morgen drohte ein Sandsturm, darum hatte er Arko zu Hause gelassen. Ich brauchte nicht nachzudenken,
wusste genau, was ich tun würde.“ Sie blickt Greta in die Augen, redet jetzt laut und ganz deutlich. „Ich holte die Leine, lief los mit dem Hund
bis zu meinem Lieblingsplatz zwischen den Felsen an der Farmgrenze. Dort band ich Arko sorgfältig fest an den alten Kameldornbaum – dabei stellte ich mir den geschrumpften Riesen vor. Ich schaute den Hund nicht mehr an, hätte die Verständnislosigkeit, den Schmerz in seinen Augen nicht ertragen. Ich lief zurück ohne ihn, sein hoffnungsloses Jaulen gellte lange in meinen Ohren.“
Greta starrt ihre Mutter an, fassungslos, aber sie sagt nichts. Anna richtet sich auf. „Der Rest ist schnell erzählt. Wegen des Sturms konnten die Männer erst am nächsten Tag nach dem Hund suchen; er wurde nicht gefunden. Ich hatte deinem Vater gesagt, sicher sei Arko ihm nachgelaufen und habe sich verirrt. Ich weiß nicht, ob er mir glaubte. Fest steht, seit diesem Tag veränderte sich unsere Beziehung. Er spürte
wohl, dass er mich nicht mehr verletzen konnte. Er behandelte mich mit Respekt. Es wuchs keine Liebe zwischen uns, aber ein Zusammenleben war möglich, denn wir begegneten uns auf Augenhöhe. –
Nur einmal noch bin ich zu meinem Lieblingsplatz gegangen. Es war kurz nach deiner Geburt. Dort fand ich im Sand diesen kleinen Knochen.“ Sie hebt das Glas hoch. „Wenn es mal wieder schwierig wurde, holte ich es aus seinem Versteck.“ „Und dann hat es dich an deine Kraft erinnert, nicht wahr, Mama?“ Greta hat Tränen in den Augen. Anna nickt schweigend. „Bitte, Mama, schenkst du mir das Glas?“
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Felsgraffiti Heft 6
Liebe Felsgraffiti- Leser,
Die vorliegende 6. Ausgabe soll Ihnen die Möglichkeit bieten, etwaige kalte Winterabende angenehm literarisch zu gestalten. Mit Grog oder Glühwein werden Sie mit der Auswahl unserer Beiträge in hochinteressante Welten entführt.
Freuen Sie sich über eine Auseinandersetzung über Geschichte und Geschichten von Prof. Marianne Zappen-Thomson.
Liebes Felsgraffiti-Team,
vor ca. 1 Jahr bekam ich das erste Felsgraffiti-Exemplar in die Finger und bin zum Felsgraffiti-Leser geworden. Ich freue mich auf jede neue Ausgabe. Die kurzweilig, bunte Mischung der Geschichten, Beiträge und Buchvorstellungen gefällt mir, und – durch Felsgraffiti habe ich
selbst Spaß daran gefunden Geschichten zu schreiben! Es ist ein schönes Gefühl, das eigene Werk gedruckt zu sehen, zu wissen, dass „man gelesen wird”.
Leider konnte ich nicht am diesjährigen Literaturwettbewerb teilnehmen, denn ich lebe nicht in Namibia (siehe Teilnahmebedingungen
Punkt 3). Müssen die namibiadeutschen Autoren vor deutschlanddeutschen Autoren geschützt werden?
Ich glaube nicht!
Ich hoffe, dass Sie an meiner Geschichte – außer Konkurrenz – trotzdem Gefallen finden.
Herzliche Grüße aus Süddeutschland
Aglasterhausen, Deutschland
‘Nach zwanzig Seiten waren alle Helden tot’
Erste Schreibversuche deutscher Schriftsteller
Herausgeber: Karl Corino, Elisabeth Albertsen
Die Erinnerungen der namhaftesten deutschen Autoren, wie und bevor sie zu Erfolg und Ruhm kamen. Der Titel ist der Grass-Geschichte entlehnt, der ganz selbst ironisch schildert, wie es ihm früher gelang, sich kurz zu fassen und seine Helden nach 20 Seiten tot waren. Wer hätte gedacht, dass deutsche Schriftsteller so viel Humor haben?! Das Cover zeigt Günter Grass als 16-Jährigen.
Erste Schreibversuche von:
Karl Krolow, Ulrich Holbein, Reiner Kunze, Sten Nadolny, Ernst Jandl, Günter Grass, Kurt Bartsch, Ursula Krechel, Sarah Kirsch, Uwe Kolbe, Friederike Mayröcker, Cornelius Fischer, Adolf Muschg, Peter Härtling, Ludwig Harig, Friedrich Christian Delius, Bodo Kirchhoff, Peter Rühmkorf, Peter Roos, Günter Kunert, Kerstin Hensel, Hans Christoph Buch, Gabriele Wohmann, Elfriede Hammerl, Herbert Heckmann, Erich Loest, Dieter Kühn, Fritz Rudolf Fries, Martin Walser, Oskar Pastior, Heinz Czechowski, Karl Mickel, Hans Joachim Schädlich.
„Pennälerlyrik oder Geniestreiche – die ersten Schreibversuche von Schriftstellern sind sympathisch rührend unbeholfen oder auch bemerkenswert gut.” –Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 9/2008
Verlag: Autorenhaus, Dezember 2007
ISBN 3-978-3-86671276
Geiers Mahlzeit
Bernhard Jaumann
Als Walter Rogner, der jahrelang zurückgezogen gelebt hat, auf dem Einwohnermeldeamt einen neuen Pass beantragen will, erfährt er eine Überraschung. Er soll vor vielen Jahren nach Afrika ausgewandert sein. Kurzentschlossen macht er sich auf den Weg nach Namibia und trifft dort tatsächlich den zweiten Walter Rogner, einen wohlhabenden Farmer. Es beginnt ein raffiniertes Katz-und-Maus-Spiel um Wahrheit
und Lüge, um Schein und Sein. Letztendlich kann es nur einen Walter Rogner geben. Doch wer ist der Richtige?
Verlag: Edition Nautilus; März 2008
ISBN: 978-3-894015671
J. M. Coetzee
Manfred Loimeier
Der südafrikanische, in Australien lebende Schriftsteller J. M. Coetzee erhielt 2003 den Nobelpreis für Literatur. Seine Romane wie „Leben und Zeit des Michael K.” oder „Schande” sind Parabeln auf den Alltag im Südafrika sowohl der Apartheid als auch der Nach-Apartheid. Neben der Prosa und den Essays ist diese Monografie aber auch der frühen Lyrik gewidmet, mit der Coetzee sein belletristisches Schreiben eröffnete.
Mit dieser Gesamtschau, die auch Coetzees ersten, noch nicht ins Deutsche übersetzten Roman „Dusklands” sowie den gerade erst erschienenen jüngsten Roman „Tagebuch eines schlechten Jahres” umfasst, liefert dieser Band einen einzigartigen Einblick in das Werk eines noch keineswegs ganz entdeckten Autors.
Verlag: Edition Text + Kritik, Mai 2008
ISBN: 978-3-883779164
Als der Inkosi tanzen lernte
Eine aberwitzige Suche nach der afrikanischen Seele
Henning Mankell und Andrea Jeska
Mit ihren beiden Töchtern im Schlepp begibt sich Andrea Jeska auf eine Reise durch das Land der Zulus, um einen afrikanischen Alltag jenseits von Aids, Kriegen und Katastrophen zu finden. Bei skurrilen Begegnungen mit Missionaren, Wunderheilern, Stammeschefs und Ältesten verliert sie bald den Glauben an die überlegene Logik ihrer eigenen Kultur und bei Ziegengulasch mit Haaren, geplatzten Verabredungen, und undurchschaubaren Strukturen so manches Mal auch die Fassung. Mitten in der Südafrikanischen Provinz Kwazulu Natal, an einem beileibe nicht von allen guten oder bösen Geistern verlassenen Ort, lässt sich die Frage, wessen Kultur eigentlich irrwitziger ist, immer schwerer beantworten.
Verlag: Brendow , März 2007
ISBN: 978-3-865061645
Afrika, mein Leben
Erinnerungen einer Unbeugsamen
Wangari Maathai
Als Wangari Maathai, Gründerin des Aufforstungsprojekt „Green Belt Movement” in Kenia, 2004 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, feierte sie ganz Afrika. Nun erzählt sie die außergewöhnliche Geschichte ihres Lebens. Afrika, mein Leben erzählt bildhaft und anekdotenreich die Lebensgeschichte einer charismatischen Frau, die Hoffnung in die Welt trägt. Wangari Maathai lebt heute in Nairobi.
„Wangari Maathais Autobiographie ist unmittelbar, aufrichtig und wunderschön geschrieben – ein ergreifender Bericht über die Mühen und Triumphe des modernen Afrika.” Bill Clinton
Verlag: Dumont Buchverlag; Februar 2008
ISBN: 978-3-832180362
Die Sehnsucht zwischen den Zeilen
Sechs namibische Jungautoren gewinnen Preise im Wettbewerb „Literatur überwindet Grenzen“
Literatur überwindet Grenzen” lautet das Motto eines Schreibwettbewerbs, den das österreichische Jugendmagazin Perplex jährlich ausschreibt. Rund 1200 Kinder und Jugendliche aus 22 Ländern beteiligten sich kürzlich am neunten Durchgang des Wettbewerbs und reichten Lyrik- und Prosatexte zum Thema „Sehnsucht” ein. Die 132 Besten wurden am 25. April in Wien mit Buchpreisen und Urkunden ausgezeichnet – darunter auch sechs namibische Nachwuchs-Literaten.