Eine Handvoll Sand

Vom ersten Augenblick des Kennenlernens war er, der Jagdgast, ihm unsympathisch gewesen und seine Frau empfand genauso. Da saß er, übergewichtig, in dem breiten Holzstuhl mit Lehne, hielt sein gefülltes Whiskeyglas in der rechten und den Zigarillo in der linken Hand und wenn er sprach, und das tat er fast immer, sprach er zu laut und sein Thema war naturgemäß die Jagd. Er zählte auf, wo in aller Welt er gejagt hatte, nachdem er sich von seiner Firma im Rheinland zurückgezogen hatte, die nun der Sohn führte. Seit wenigen Jahren hatte er endlich Zeit und konnte sich seine Träume erfüllen. So erzählte er von den elf Böcken, die er an einem Tag in Polen geschossen hatte, von seinem Kapitalhirsch, den er in Ungarn auf eine Entfernung von dreihundert Metern – den Kommentar des Farmbesitzers „bei mir nicht“ überhörte er beflissentlich – gestreckt hatte, wobei der Hirsch durch einen Schuss ins Rückgrat auf der Stelle zusammenbrach. Weiter berichtete er von seinen von Erfolg gekrönten Abenteuerjagden in Kanada auf Elch und in Alaska auf Bären.


Dann hatte er seine Sehnsucht für Afrika entdeckt, ausgelöst durch ein Foto, das Hemingway mit einem Leoparden zeigte, ein Bild, das damals durch alle Illustrierten der Welt ging.
Ein Gedanke beherrschte ihn vollständig, der ihm seine Ruhe raubte. Die BIG FIVE werde er nicht mehr erlegen können, denn ein Nashorn zu schießen ist in der heutigen Zeit unmöglich – aber es bleiben noch BIG FOUR, das ließe sich mit Geld arrangieren. Und er wollte auch solch ein Foto von sich mit dem erlegten Leoparden, dem Elefanten, dem Löwen und dem Kaffernbüffel.
Also habe er den Entschluss gefasst, in Botswana einen Büffel zu jagen, aber zuvor hier bei ihm einen Leoparden zu schießen, denn er habe gehört, dass er ein Raubkatzenexperte sei, der vor wenigen Monaten einen verletzten Leoparden auf wenige Meter gestoppt habe.
Der Jagdherr hatte ruhig zugehört und antwortete:
„Jener Leopard hatte eine Schussverletzung und wie mir von den Nachbarn versichert wurde, hatte aber niemand von ihnen geschossen. Wird ein Wilderer gewesen sein. Telefonisch habe ich Ihnen mitgeteilt, dass die Chance minimal ist. Kudu, Oryx, Springbock, Impala, Hartebeest oder ein Eland können Sie schießen, Warzenschwein sowieso. Das sind wunderbare Trophäen.
An Leoparden gibt es ein bestätigtes Exemplar, das habe ich im südlichen Rivier gefährtet und Lukas hat ihn zweimal gesichtet, aber der Leopard ist ein scheuer und nächtlicher Jäger. Ihre Chance wäre in Tansania oder Kenia sicherlich größer.“
Darauf der Rheinländer: „Ich wollte aber nach Südwest und habe mit Glück immer bekommen, was ich wollte.“
Noch in der Dunkelheit hatten sie sich unweit des Wasserlochs angesetzt und warteten auf anwechselndes Wild. Der Morgen kam schnell, die Umgebung nahm Farben an. Zwei Oryx, einer davon mit extrem starken und langen Hörnern, kamen zum Schöpfen.
Der Jagdherr gab dem Gast durch Zeichen zu verstehen, dass er diesen schießen könne. Der schüttelte nur den Kopf. Zeit verging, der Alkohol verlangte seinen Tribut, der Gast nickte ein, bis er sacht am Arm berührt wurde. Noch von Büschen und hohem, gelben Gras verdeckt, beobachtete ein Gepard die Tränke. Der Gast griff sofort zur Waffe, doch er wurde zurückgehalten.
„Was ist denn? Den will ich schießen!“
„Kommt nicht in Frage. Der ist nicht frei!“
„Ich zahle den doppelten Preis, den dreifachen oder meinetwegen den fünffachen.“
„Nein! Und das ist mein letztes Wort!“
Der Gast saß mit rotem Kopf da, überaus wütend, wollte sich nicht beruhigen. Am Nachmittag waren sie an das nördliche Ende des Farmlandes gefahren, hatten den Affenfelsen erklommen, der fürchterlich nach Losung stank. Stellungswechsel. Den Schirm hatte Lukas gebaut, anlehnend an ein Bäumchen. Buschwerk war hier und da vorhanden, Gras und angewehter Sand ermöglichten geräuschloses Vorgehen. Von dort oben hatten sie einen fantastischen Rundblick über den Dornbusch bis zum Horizont. Unweit von ihnen lagen Klippschliefer bewegungslos in der Abendsonne. Zu beobachten gab es immer was. Mal war es eine Kette Perlhühner, ein krakelender Gelbschnabeltoko, eine Giraffe mit weit ausgreifendem Schritt, eine Warzenschweinbache mit drei Frischlingen. Langsam ging es auf den Sonnenuntergang zu. Der Horizont erglühte in gelben, orangenen und roten Farben. Büchsenlicht höchstens noch ein paar Minuten.
Da sieht der Jagdführer im Augenwinkel eine Bewegung im Gras. Eine schwarze Mamba, recht nahe am Schuhwerk des Gastes. Unendlich langsam greift er nach unten, nimmt eine Handvoll Sand, flüstert dem Gast zu, wenn ich sage ‚los‘, dann rennen Sie, so schnell sie können, nach hinten. „Los!“, und schleudert gleichzeitig der Mamba den Sand gegen den Kopf. Beide rasen davon.
Auf der Pad verschnaufen beide. Der Jagdgast wendet sich kopfschüttelnd an den Jagdführer: „Was sollte das denn?“
„Das erzähle ich Ihnen nachher in Ruhe bei einem Glas Whiskey.“

Rubertus Dittmar

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