Hermann Hesse wurde 85 Jahre alt. Sein Lebenswerk ist gewaltig, seine Bücher sind in mehr als 60 Sprachen übersetzt und rund um den Globus in etwa 150 Millionen Exemplaren verbreitet. Wenn man „Hermann Hesse“ bei Google eintippt, findet man über 10 Millionen Resultate in 0,19 Sekunden. Was kann man diesem Volumen noch hinzufügen? Was gibt es zu sagen, was nicht schon gesagt worden ist?
Irgendwann habe ich mal gelesen, dass ein Mensch durchschnittlich in seinem Leben drei große und unzählige kleine Krisen durchläuft. Während ich die bisher größte Krise in meinem Leben bearbeitete, bekam ich von einem meiner Brüder mein erstes Hesse-Buch geschenkt. „Der Steppenwolf“. Das Buch brachte mir meine inneren Kämpfe, in literarischer Form, geläutert, von außen zurück. Hier war ein Autor, der mich zu verstehen schien, den ich deswegen verstehen konnte! Schon bald war Hesse mein Lieblingsautor und seine Romane begannen meine Regale zu füllen.
Wie kein anderer verstand Hesse es, den menschlichen Kampf, die Wahl zwischen den unendlichen Möglichkeiten und scheinbaren Widersprüchen darzustellen. Entweder in einer Person wie Harry Haller im „Steppenwolf“, der sich tiefgründig mit sich selbst auseinandersetzt, oder aber in zwei Charakteren, welche die gegensätzlichen Wege gehen wie „Narziß und Goldmund“ im gleichnamigen Roman. Weltbesessenheit und Weltflucht werden in „Siddhartha“ behandelt.
Immer wieder beschreibt Hesse innere Beweggründe und äußere Handlungen mit solch psychologischer Klarheit, dass es nicht verwundert, wenn man erfährt, dass er bei dem C. G. Jung-Schüler Josef Lang und später bei Jung selbst in psychotherapeutischer Behandlung war.
Während einer Diskussion über Hesse sagte mir mein Gegenüber, dass sie Hesses Romane nicht mag: „Die sind zu selbstmitleidig – immer dieses außerhalb der Gesellschaft stehen, aber doch irgendwie Teil davon sein wollen …“ So kann man es natürlich auch sehen. Hermann Hesse hat oft genug über die Hintertür „Selbstmord” geschrieben. Ich persönlich würde sagen, mir ist der Denker, welcher sich tief mit dem Sein beschäftigt und deshalb nicht im Fluss des Lebens ist, der daran verzweifelt und Selbstmord in Erwägung zieht, lieber, als der Außenseiter, der für seine Probleme alle außer sich selbst verantwortlich macht, irgendwann durchdreht und irgendwo mit einer Waffe auf die Masse losgeht, wie es heutzutage immer wieder passiert.
Hesse ist im „Steppenwolf“ auch in den Mantel des Massenmörders geschlüpft, doch seine Erkenntnis kam in Form der Visitenkarte eines der Ermordeten, nämlich „Tat Tvam Asi“ oder „Du bist es selbst!“ Das ist der Riesenunterschied.
Hesse hat sich intensiv mit dem Leben auseinandergesetzt und in den Romanen und Gedichten seine Erkenntnisse und Antworten auf „seine“ Fragen gegeben. Seine Romane sind keine Schmöker wie Henning Mankells Krimis oder Harry Potter, aber wer mehr als Unterhaltung sucht, der ist bei Hesse richtig.
In der heutigen Zeit der Überbetonung des Ichs, wo jeder denkt, dass das, was er sagt und denkt, wichtig ist, siehe Facebook und Twitter, könnte es niemandem schaden, sich mal richtig mit Hesses „Morgenlandfahrt“ auseinanderzusetzen. Sind wir nicht alle, bewusst oder unbewusst, auf unserer eigenen Morgenlandfahrt? Sind wir nicht vom Weg abgekommen und denken, dass „die anderen“ die Ursache von dem sind, was wir als schlecht empfinden? Wer tiefer nachdenkt, wird eventuell erkennen, dass wir auf der Suche nach dem Diener unser Ich vollkommen in den Vordergrund stellen und damit den Diener nicht finden können …
Ausgewählte Literatur
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltischen Missionars und einer württembergischen Missionarstochter geboren. Er starb am 9. August 1962 in Montagnola bei Lugano. Nobelpreis für Literatur 1946.
• Peter Camenzid 1904
• Narziß und Goldmund 1930
• Demian 1919
• Die Morgenlandfahrt 1932
• Siddhartha 1922
• Der Steppenwolf 1927
Ich liebe Hesse!
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