von Henno Martin
Rezensiert von Barbara Kahler
Kultbuch Namibia – Faszination eines Bestsellers
Zwei jungen deutschen Geologen, Henno Martin und Hermann Korn, die 1935 nach Südwestafrika gekommen waren, droht bei Kriegsausbruch die Internierung im Lande als „feindliche Ausländer“ und bei Rückkehr nach Deutschland die Rekrutierung. Das eine so unattraktiv wie das andere, beschließen die beiden, sich eine „Auszeit“ in der Wüste zu nehmen. Sie liefern zunächst ein Beispiel umsichtiger Logistik, indem sie einen Lastwagen mit erstaunlicher Materialsammlung beladen, die ihnen helfen wird, zwei Jahre in der Wüste zu überleben. Das Vorhaben ist nicht nur als ‚Survival trip‘ geplant, sondern soll auch der Forschung dienen, Zeichenutensilien und geologische Messgeräte werden ebenso eingepackt wie Ferngläser, Bücher und Lebensmittel. Das Unterfangen wird zur Gratwanderung zwischen physischem Überleben und psychischer Anpassung, was eingeborene Stämme in Jahrtausenden gelernt haben, muss hier als Überlebensstrategie im Schnellverfahren erlernt werden.
Damit ist der Inhalt zwar kurz zusammengefasst, nicht aber die Faszination, die das in Tagebuchform geschriebene Werk auch heute für den Leser hat.

Vielleicht ist dies eines der wenigen Bücher, bei denen es empfehlenswert erscheint, das Nachwort zuerst zu lesen. Der Verfasser schreibt dort über sein Anliegen, Staunen und Bewunderung mäßigen zu wollen, welche den Leser angesichts der unglaublich anmutenden körperlichen und psychischen Leistung der beiden Protagonisten ergreifen mögen. Es soll viel mehr Verständnis für Namibia und seine Bewohner geweckt werden. Dies gelingt in einzigartiger Weise, indem der Leser mit auf die strapazenreiche Reise genommen wird. Der Leser des Tagebuches wohnt dem täglichen Überlebenskampf ebenso bei wie tiefgreifenden philosophisch-naturwissenschaftlichen Diskussionen, den nicht ausbleibenden, aber seltenen Dissonanzen und deren Bewältigung, erstaunlichen Tier- und Naturbeobachtungen, den Rettungsaktionen in Not geratener Tiere, und immer wieder der Suche nach dem wichtigsten Element, das Thema, welches die beiden Geologen auch ins Land gebracht hatte – Wasser. Die berufliche Fach- und Sachkenntnis ist dabei von grundlegender lebenswichtiger Bedeutung, zusammen mit bereits erworbener Südwestafrika-Erfahrung ermöglicht sie den Abenteurern aus Notwendigkeit ein Überlebenskunststück, welches normalerweise die generationenlange Erfahrung der eingeborenen Buschmänner erfordert.
Der Zauber dieses Buches liegt wohl zum größten und wesentlichen Teil in der Authentizität der Geschichte und der eindringlichen, doch eher leisen Erzählweise des Autors. Ge- und Beschriebenes wirken glaubhaft, unverfälscht, lassen den Leser teilhaben an der Bewältigung eines riskanten, unfreiwilligen Abenteuers in einer Zeit ohne Google, Facebook und Co., Dschungelcamp, Risikosportarten und anderen Ersatzhandlungen für eigenes Erleben. WhatsApp wird beispielsweise ersetzt durch ein weißes Tuch, das Hermann auf dem Plateau ausbreitet, um Henno im Camp zu signalisieren, dass Hilfe beim Tragen erlegter Beute benötigt wird. Die heutige Sorge um mangelnden Signalempfang für das Funktelefon ist gleichzusetzen mit damaliger Befürchtung, der Windgenerator, der das kleine Radio speist, könne vom seltenen aber mächtigen Regenguss weggespült oder vom frechen Pavian demontiert werden. Wetterbericht? Völlig unnötig, unsere Geologen wissen genug über Wind- und Meeresströmungen, Landschaftsformen und Vegetation, um nicht nur selbst Vorsorge für nahenden Sandsturm, Kälteeinbrüche und Blitzschlag zu treffen, sondern auch den Leser neben vielem anderen ausreichend zu informieren, wieso beispielsweise in Namibia im Sommer meist Westwind, im Winter hingegen Ostwind herrscht.

Der Leser erfährt außerdem eine Menge über die Zubereitung der erstaunlichsten Nahrungsmittel und Fleischformen unter Wüsten- und Pionierbedingungen, ist vielleicht auch unangenehm berührt über die unzureichende Anfangserfahrung im Erlegen der Jagdbeute und teilt anschließend die Gewissensqualen der noch unerfahrenen Jäger, die notgedrungen mit ihrer Munition haushalten müssen. Die zarteren Gemüter können sich an Schilderungen von Tierfreundschaften erfreuen, wie zum Beispiel ein Gemsbockbulle einen anderen angeschossenen Kameraden auf der Flucht vor Henno und Hermann begleitet. Ein Straußenhahn vereitelt einmal das Jagdglück der beiden Männer, indem er sich mit ausgebreiteten Flügeln einer nahenden Straußenherde in den Weg stellt und sie so warnt. Wenn wir heute in gängigen Medien lesen, der Strauß habe Augen, die wesentlich größer seien als sein Hirn, sei also ein ziemlich dummes Tier, sollten wir uns an diese kleine Anekdote erinnern. Henno und Hermann beschreiben ihren Eindruck „als hätten die grotesken Vögel so etwas wie Verantwortungsgefühl, das sich selbst auf fremde Herden erstreckt“. Im Zeitalter der Mikrochips möge sich der Leser selbst fragen, ob gewisse Hirnleistungen unbedingt mit Hirngröße korreliert sein müssen. Als eine Hyäne mit beleidigtem Meckern einem Leoparden auf dem Weg zum Wasserloch weichen muss, zieht Henno Parallelen mit menschlichem Verhalten und resümiert, das „Allzumenschliche“ am Menschen sei wohl in Wirklichkeit das noch „Allzutierische“.

Hermann, der einfühlsame, malende Geigenspieler, betätigt sich auch als Tierretter. So tötet er einmal eine Schlange, die den gepäppelten Hausgecko verschluckt hatte, entfernt die Echse aus dem Schlangenmagen, und erweckt sie durch einige Bäder wieder zum Leben. Er hat auch Mitgefühl mit ‚Joseph‘, dem missgestalteten und von der Herde ausgestoßenen Springbock, der am Leben bleiben darf, obwohl leichte Beute für den Jäger am Wasserloch.
So unlogisch und gefühlsgeleitet können menschliches Leben und Verhalten sein, dieses Buch bringt es in vielen Facetten zum Ausdruck. Hermann fasst es einmal zusammen: „Gefühl ist ein Urteil, das aus der Ganzheit des Lebens gefällt wird“, und Henno kommentiert an anderer Stelle: „Wir hatten grausam wie Raubtiere gelebt, hatten oft mit blutigen Händen gegessen, aber wir hatten denkend und fühlend gelebt, und der rücksichtslose Kampf ums Dasein hatte uns nicht hart und roh werden lassen.

Und das ist es, was das ganze Buch durchstrahlt und belebt: Mitgefühl im Überlebenskampf ist kein überflüssiger Luxus, sondern Notwendigkeit. Ohne ein Streben nach Entwicklung und sinnhafter Gestaltung hätten unsere Protagonisten das Abenteuer kaum überlebt. Wir Leser haben Teil an einem spannenden Entwicklungsprozess, der – an sich zeitlos – durch faszinierende Landschaften im Außen und Innen führt, und dabei vielleicht etwas Verborgenes in uns selbst anregt. Wie viele Bücher tun das schon?
8. Auflage 2013, [Verlag] two books. ISBN-13: 978-3-935453-02-8
Ein Gedanke zu „Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste“